Tag 78 + 79

"Je crois que je suis morte et maintenant je suis au paradis"- antwortete ich auf die Frage des Küchenchefs, ob alles in Ordnung wäre. 

Ihr müsst wissen, ich sitze gerade in meiner verschwitzten, dreckigen Wanderkleidung in dem Restaurant "Buffet de la Gare" in Gland, wo man als Pilger um 20CHF, ein 3-Gänge-Menü mit Weinbegleitung bekommt.

Und ohne Übertreibung - c'était très magnifique !! Es war grandios!

Er hatte mir im Vorhinein gesagt, was mich erwarten würde, aber ich hatte kein Wort verstanden - es war viel zu schnell. Samt Überraschungseffekt war es unglaublich. 

die Vorspeise
die Vorspeise
Hauptgang
Hauptgang
Dessert
Dessert

So überwältigt ich auch gerade bin, ich beginne trotzdem nochmal am Anfang  also heute Morgen.

Beim Frühstück unterhielt ich mich mit Katharina und Willy, dem entzückenden Paar, bei dem ich letzte Nacht ein Zimmer hatte. Zusätzlich zu dem schönen Zimmer, dass sie mir boten, waren sie überaus gastfreundlich, offen und herzlich.

Der Start war wieder etwas mühsam, wie immer, wenn ich von so netten Leuten Abschied nehmen muss. Außerdem bin ich mich auch noch ein bisschen verlaufen und war enttäuscht, dass sich der Mont Blanc vor mir versteckt hielt. 

In Morges leitete mich der Pilgerführer über einen Park in einen Wald am Seeufer entlang. Dort traf ich auf Valérie, die mir eine schönere Wegvariante zeigte, als in meinem Büchlein beschrieben war. (Vielen Dank!) Und wir unterhielten uns auch sehr gut.

Beschwingt von einem Camino-Gespräch setzte ich meinen Weg fort. Es war angenehm zu gehen, die Sonne kam raus und es war einfach ein schöner Tag.

Nach St-Prex war der Wanderweg aufgrund von Forstarbeiten gesperrt. Ich musste über ein Industriegebiet ausweichen.

Dort führte ich auch mein 1. mehrminütiges Gespräch durchgehend auf Französisch - jeij!

Wieder im Wald, legte ich mich am Bachufer in die Sonne und machte ein total angenehmes Mittagspäuschen.

Danach ging es eine Straße hinauf nach Perroy. Und der Anblick von Perroy über die gelb gefärbten Rebhänge hinweg auf die tiefblaue Seefläche und auf die Silhouette der Berge dahinter - samt Mont Blanc - verzauberte mich! 

Perroy
Perroy

Begleitet von einer wunderbaren Aussicht gelang ich über Rolle, Bursinel und Dully nach Gland. Ganz knapp vor Gland traf ich einen Mann. Er erzählte mir, in einem Affentempo (natürlich auf Französisch), einfach alles. Ich habe nicht alles verstanden, ich habe mit meinen spärlichen Antwortgestiken einfach geraten. Aber es schien ihm auch egal zu sein, so wie es ihm egal war, dass ich ihn darum gebeten hatte langsamer zu sprechen, denn mein Französisch wäre nicht so gut. Er erzählte mir, dass er mehrere Herzinfarkte hatte und dass er seither immer spazieren geht und wie lange er auf welchen Berg (mit 76 Jahren) braucht, zwischendurch beschwerte er sich, dass die Straßenlaternen in gewissen Bereichen zu hell wären... aber ich bin nicht immer ganz mitgekommen. "Imaginez-vous..."    .... "Imaginez-vous..."   ....  "Imaginez-vous..."  ....  "Imaginez-vous..." 

Ich habe einige Male versucht zu sagen, dass ich jetzt zu meiner Herberge weitergehen muss, aber er hörte nicht zu und redete weiter. Irgendwann habe ich gelächelt, gewunken und bin einfach gegangen.

Ich stellte meinen Rucksack in der Herberge, die ich diese Nacht wieder ganz für mich habe, ab und ging zum "Buffet de la Gare"...


ERKENNTNISSE des Tages:


Es ist wundervoll so ein Abendessen nach einem anstregenden Tag zu bekommen. Vor allem wenn man sich sonst seit Wochen überwiegend kalt ernährt. 


Manchmal muss man einfach lächeln, winken und gehen. 

zwischen den Laternen - Le Monsieur Mont Blanc
zwischen den Laternen - Le Monsieur Mont Blanc

Tag 79: Nach wundervollen wirren Träumen und trotzdem einer wahnsinnig erholsamen Nacht nutzte ich die Küchenecke der "Gîte", um mir Nudeln zu kochen, die ich dann als Mittagessen mitnahm.

In Gedanken versunken und mit Erinnerungen an das wundervolle Abendessen gestern wanderte ich nochmal am Bahnhof vorbei. Und vor lauter Tagträumen muss ich wohl irgendwie eine Abzweigung verpasst haben, denn das, was in meinem Pilgerführer stand, passte nicht mehr zu meinem Weg. Und natürlich war ich nicht schlau genug, mir die Offlinekarte für diese Region runterzuladen. Also ging ich nach Gefühl (und ja, ich weiß, was sich jetzt gewisse Leute denken werden - mittlerweise weiß ich wo Westen ist und weiß auch, wo die Flüsse sind, denen ich entlang gehe) und nach ca. 20 Minuten, wo ich zwischen Panzersperren entlang gegangen bin - siehe da: ein Jakobsweg-Wegweiser. Yeeessss! Aber es passte immer noch nicht zu meiner Beschreibung, es muss anscheinend irgendeine andere Variante sein. Mit vielen Pausen in der Sonne und gemütliche 20km später kam ich in meiner heutigen Acceuil jacquaire, also einer Jakobusunterkunft, in Commugny an. Bernard und Claire-Marie empfingen mich freundlich. Den Nachmittag und Abend verbrachten wir mit halb französischen und halb deutschen Gesprächen. Das Verstehen wird besser, das Antworten ist noch schwieriger. Aber Claire-Marie hat für mich auch langsamer gesprochen. Es war ein schöner Abend mit vielen hilfreichen Tipps und guter Gesellschaft!


ERKENNTNIS des Tages:


Gemütliche Genießertage tun zwischendurch auch sehr gut! 

wie in einem Rosamunde-Pilcher-Film
wie in einem Rosamunde-Pilcher-Film